Das Gleichstellungsverfahren gemäß § 151 Absatz 2 SGB IX
Das Gleichstellungsverfahren findet nur auf Antrag des behinderten Menschen statt und ist an keine Form gebunden. Empfänger ist die Agentur für Arbeit.
Begründung des Antrags
Der Antragsteller muss konkrete Anhaltspunkte dafür vortragen, dass entweder ein geeigneter Arbeitsplatz nur mit dem Schutz des SGB IX erlangt werden kann oder sein Arbeitsplatz wegen der Behinderung gefährdet ist und er deshalb den Schutz des SGB IX benötigt, insbesondere das Zustimmungserfordernis des Integrationsamtes zu einer beabsichtigten Kündigung.
Wettbewerbsnachteile auf dem Arbeitsmarkt müssen in jedem Fall auf die Behinderung als wesentliche Ursache zurückzuführen sein. Allein allgemeine betriebliche Veränderungen wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, von denen Nichtbehinderte gleichermaßen betroffen sin, können eine Gleichstellung ebenso wenig begründen wie fortgeschrittenes Alter, mangelnde Qualifikation oder eine allgemein schwierige Arbeitsmarktsituation.
Anhaltspunkte für eine behinderungsbedingte Gefährdung eines Arbeitsplatzes können laut Bundesagentur für Arbeit sein:
- wiederholte/häufige behinderungsbedingte Fehlzeiten
- behinderungsbedingt verminderte Arbeitsleistung auch bei behinderungsgerecht ausgestattetem Arbeitsplatz
- dauernde verminderte Belastbarkeit
- Abmahnungen oder Abfindungsangebote im Zusammenhang mit behinderungsbedingt verminderter Leistungsfähigkeit
- auf Dauer notwendige Hilfeleistungen anderer Mitarbeitender
- eingeschränkte berufliche und/oder regionale Mobilität aufgrund der Behinderung
Bei Beamten und Arbeitnehmern mit besonderem Kündigungsschutz wie Mitgliedern der Mitarbeitervertretung, Schwerbehindertenvertrauenspersonen, Schwangeren oder Eltern in Elternzeit sind in der Regel die Voraussetzungen für eine Gleichstellung wegen einer Gefährdung des Arbeitsplatzes nicht erfüllt. Im Einzelfall kann eine Gleichstellung nur erfolgen, wenn es um das Erlangen eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes oder die behinderungsgerechte Ausstattung des eigenen Arbeitsplatzes geht.
Anhörung der Betriebsparteien inkl. Arbeitgeber
Im Antragsformular wird darum gebeten, die Zustimmung zu erteilen sowohl zur Anhörung der Mitarbeitervertretung und der Schwerbehindertenvertretung als auch zur Anhörung des Arbeitgebers. Gerade die Anhörung des Arbeitgebers ist zum Teil für die betroffenen Arbeitnehmer problematisch, da der Arbeitgeber in der Regel nicht weiß, dass eine Behinderung besteht und nun erstmalig damit konfrontiert wird. Sollte dem Antrag nicht stattgegeben werden, hätte man seinem Arbeitgeber die Behinderung offenbart, ohne den Schutz des SGB IX zu genießen.
Zudem besteht der besondere Kündigungsschutz erst drei Wochen nach der Antragstellung, so dass der Arbeitgeber auf die Idee kommen könnte, vorher noch „mal eben schnell“ eine Kündigung ohne das Integrationsamt auszusprechen.
Was also tun? Als Antragsteller kann man ausschließen, dass der Arbeitgeber zur Gleichstellung angehört wird, sofern auch die Mitarbeitervertretung und Schwerbehindertenvertretung fundierte Auskünfte zur Situation am Arbeitsplatz machen können. Das Landessozialgericht Mainz hat in seinem Urteil vom 24.09.2009 – L 1 AL 59/08 – entschieden, dass kein Grund für eine Ablehnung des Antrags wegen fehlender Mitwirkung vorliegt, wenn der Arbeitgeber nicht befragt werden darf, dafür aber die betrieblichen Interessenvertretungen und diese auch aussagekräftige Stellungnahmen abgeben.
In der Regel werden der Arbeitgeber, die Schwerbehindertenvertretung und die Mitarbeitervertretung über das Vorliegen einer Gefährdung des Arbeitsplatzes befragt. Hier geht es in erster Linie um eine Gefährdung aufgrund der Behinderung.
Folgende Fragen wird die Agentur für Arbeit stellen:
- welche Tätigkeit übt der behinderte Mensch an welchem Arbeitsplatz aus?
- Welche Behinderung liegt vor und wie wirkt sich diese auf die Tätigkeit aus?
- Liegt eine Einschränkung des Leistungsvermögens infolge der Behinderung vor? Wenn ja, ist der Betroffene in der Ausübung der derzeitigen beruflichen Tätigkeit gegenüber vergleichbaren, voll leistungsfähigen Arbeitnehmenden noch wettbewerbsfähig?
- Ist der derzeitige Arbeitsplatz behinderungsgerecht?
- Ist der behinderte Mensch den Arbeitsanforderungen gewachsen oder müssen diesbezügliche Leistungsminderungen infolge der Behinderung hingenommen werden?
- Ist eine innerbetriebliche Umsetzung auf einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz erforderlich bzw. möglich?
- Sind vorhandene behinderungsgerechte Arbeitsplätze schwerbehinderten Menschen und Gleichgestellten vorbehalten? (Da die Frage des behinderungsgerechten Arbeitsplatzes sehr individuell von der Tätigkeit und der Behinderung abhängt, ist diese Frage regelmäßig mit „Nein“ zu beantworten)
- Ist der Arbeitsplatz wegen der Behinderung derzeit gefährdet?
- Welche Ausfallzeiten sind eingetreten?
- Welcher Kündigungsschutz besteht? Liegt Unkündbarkeit vor? (Falls ja, muss unbedingt begründet werden, warum die Gleichstellung benötigt wird, beispielsweise für eine behinderungsgerechte Ausgestaltung des Arbeitsplatzes! Es sollte auch eingegangen werden auf die Art des Kündigungsschutzes, meist ist dieser auf eine Amtszeit, Schwangerschaft oder Erziehungszeit begrenzt.)
Der Schutz gleichgestellter behinderter Menschen tritt rückwirkend ab dem Tag des Antragseingangs ein (§ 151 Abs. 2 SGB IX). Eine zeitlich weitere Rückwirkung ist ausgeschlossen, so dass es sich empfiehlt, den Gleichstellungsantrag rein vorsorglich zeitgleich mit dem Antrag auf Feststellung einer Behinderung beim Versorgungsamt zu stellen.
Gemäß § 151 Abs. 3 SGB IX erhalten gleichgestellte behinderte Menschen grundsätzlich die gleichen Hilfen und den gleichen Schutz des dritten Teils des SGB IX wie schwerbehinderte Menschen, mit Ausnahme des Zusatzurlaubs nach § 208 SGB IX und der unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Personenverkehr nach § 228 - § 237 SGB IX. Auch die Altersrente für schwerbehinderte Menschen kann nicht in Anspruch genommen werden.
Die Gleichstellung kann befristet werden, wenn zu erwarten ist, dass innerhalb der Befristungsfrist die Voraussetzungen für die Gleichstellungwieder wegfallen werden (§ 151 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).
Gemäß § 151 Abs. 4 SGB IX werden auch behinderte Jugendliche und junge Erwachsene während der Zeit einer Berufsausbildung gleichgestellt, auch wenn der GdB weniger als 30 beträgt oder nicht festgestellt ist.
Widerspruch
Wer einen Verwaltungsakt einer Behörde angreifen will, muss regelmäßig erst Widerspruch einlegen, bevor er im Klagewege vor Gericht ziehen kann.